Das 13. Pflege-Forum Alpbach steht in wenigen Monaten vor der Tür. Bisher wurde nur der Titel des Symposiums veröffentlicht: „Der Untergang der Alleskönner – Warum die Zukunft den Spezialisten gehört“ widmet sich provokant einem wirklich essentiellen Thema, welches nicht nur mit der Generalistik in unser Gesundheitssystem Einzug hält, sondern auf wesentlich mehr Bereiche einwirkt.
Nun dürfen wir die ersten beiden Vortragenden bekanntgeben, die fix für diese Veranstaltung zugesagt haben: Dr. Christoph Zulehner & Prof. Erwin Böhm
Spezialisierung ist die kleinste Form des Monopols!
Je tiefer die Expertise umso breiter das Netzwerk!
– Dr. Christoph Zulehner
Vortrag: Ko-Kompetenz – Zusammenarbeit in Zeiten der Spezialisierung
Eine Welt voller Experten
Bestimmt kennen Sie das: Sie zappen sich durch die Fernsehsender und bleiben bei einer Talk-Show hängen. Es geht um ein brandaktuelles Thema und schon ist die Moderatorin umringt von Experten zu dieser Materie. Wie aus dem Nichts sind sie aufgetaucht. Experten für Terrorbekämpfung, für Sicherheitsfragen, für Datenschutz, für alternative Antriebsformen, für Ethik in der Gentechnologie, für Kochen mit Insekten, für Crowdfunding, für Robotik, für den Super-Sapiens usw.
Zugegeben, wer auf sich hält, hat den Begriff „Experte“ längst hinter sich gelassen. Jetzt sind die Koryphäen die Meinungsbildner. Sie nennen sich Web-Guru, Mode-Zar, Literatur-Papst, Hunde-Flüsterer, Hack-Crack oder Gaming-Großmeister! Man hat den Eindruck die Welt quillt über von Experten. Bei genauer Betrachtung muss die Botschaft allerdings lauten: „Und wir brauchen täglich mehr!“
From picks to bricks to clicks
Mehrere tausend Jahre waren die Menschen Rohstoffgewinner. Der rasante Wandel hat erst vor zweihundert Jahren eingesetzt. Zunächst mit der Industrialisierung aber seit rund 60 Jahren treibt uns die Digitalisierung vor sich her. Fest steht: Der Dienstleistungs-Sektor wächst und das schneller als dies der Ökonom Fourastié in seiner Hypothese prognostiziert hat. Im Jahr 2016 haben mehr als 75 % der Menschen ihr Geld mit Dienstleistung verdient. Drei Viertel erzeugen keine Güter mehr sondern erbringen intangible Arbeitsleistungen. 40 Jahre früher als von Fourastié eingeschätzt. Der wichtigste Produktionsfaktor ist nicht mehr Grund- und Boden, auch nicht die Maschine sondern das Know-how. Das notwendige Werkzeug ist nicht mehr die Spitzhacke, die notwendige Struktur ist nicht mehr der industrielle Ziegelbau. Mit durchschnittlich 30 Clicks ist jede Auskunft erteilt.
Die Produktion des Wissens
Im Jahr 1963 erschien das Buch „Littel Science, Big Science“ des Wissenschaftshistoriker Derek de Solla Price. Darin beschreibt er zum ersten Mal das Phänomen der „Wissensproduktion“. Sein Ergebnis: Information wächst exponentiell und verdoppelt sich alle 15 Jahre. Aktuelle Messungen gehen davon aus, dass sich unser Wissen alle zwei bis drei Jahre verdoppelt. Was heißt das für Unternehmen gleichermaßen wie für uns als Menschen? Unerheblich ist die Diskussion um die genaue Wachstumsgeschwindigkeit. Kein Mensch ist in der Lage sein Wissen in drei, fünf oder sieben Jahren zu verdoppeln. Deshalb sind wir von zwei Bewältigungsstrategien getrieben: Spezialisierung und Digitalisierung!
Ko-Kompetenz
Die kontinuierliche Spezialisierung, die enorme Zunahme an Experten, das dynamische Wachstum des Wissens, verlangen den Individuen neue Eignungen und den Unternehmen neue Organisationsformen ab. Die Entwicklung von Fähigkeiten die dabei unterstützen, auf dem ruhelosen Wissensteppich nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Diese Form des Zusammenwirkens nennen wir Ko-Kompetenz. Ein Neologismus der sich aus den Begriffen Kooperation und Kompetenz zusammensetzt. Ko-kompetente Systeme sind nur bedingt dauerhafte Strukturen, wie sie Unternehmen bislang waren. Zweifelsohne stellt dies einen gewöhnungsbedürftigen Gedanken dar. Um solche Organisationen erfolgreich zu machen, braucht es ganz neue Wirksamkeiten; von Menschen gleichermaßen wie von Unternehmen. Was immer ein Unternehmen in Zukunft sein wird.
„Ein Flugzeug braucht zum Abheben Kerosin, ein Mensch Gefühle – Die Pflege ein kriminalistisches Denken“
– Prof. Erwin Böhm
Da er letztes Jahr leider absagen musste, wird es seinen Vortrag endlich beim 13.Pflege-Forum Alpbach geben: Prof. Erwin Böhm
Vortrag: SOKO DEMENZ
Pflege beginnt in meinen Augen mit einer Pflegediagnose der Pflegenden und ist somit mit einem gewissen kriminalistischen Spürsinn zu vergleichen. Was, Wann und warum verspüren Pflegepersonen Lust, aber noch häufiger das Gefühl der Unlust im Dienst? Warum projizieren oder übertragen sie IHREN Gefühlsstatus auf die Klienten?
Das Klinik- und Heimpersonal sollte streng genommen ihre Aufgaben nach dem Ordnungssystem des Gesundheitswesens durchführen. Sie sollen Betten machen, Essen austeilen, RR messen, Infusionen aufhängen und schreiben, schreiben, schreiben. Nicht zu vergessen abends alle Klienten fragen, ob sie heute schon Stuhl hatten. Was hilft den Klienten schon Betten machen, Essen austeilen und nach dem Stuhl fragen, wenn sie unter Gefühlsstörungen leiden?
Was ist, wenn dies dem Personal weder auffällt, noch dazu ausgebildet ist professionell Hilfe anbieten zu können. Wobei ich zugeben muss, dass auch mein Wissen fragmentarisch ist. Dies bedeutet, dass man für die heutigen in der Pflege üblichen Gefühlskonzepte wie der Validation, der Mäeutik, der basale Stimulation, den Snouzelen und nicht zuletzt für mein eigenes Pflegemodell „psychobiographische Pflegemodell nach Böhm viel Wissen, Lust und Ahnung über die Hintergründe der Basisgefühle haben sollte. Die Gefühlswelten und ihre Hintergründe zu verstehen ist eine kriminalistische Aufgabe in der Pflege und macht die „Altenpflege“, vorwiegend jene bei der es sich um Verhaltensauffällige Alte (früher dementiell Erkrankte) handelt, spannend.