Arte Dokumentation: Corona – Die eingesperrten Alten

6. Februar 2021 | Covid19, Demenz, Pflegende Angehörige | 0 Kommentare

Uns ist etwas Seltsames passiert: nach der Sichtung des Filmes in der ersten Februarwoche haben wir unabhängig voneinander andere auf diese Sendung aufmerksam gemacht, weil wir beide total beeindruckt waren. Es geht um die authentische Situation in einem Pariser Altenheim zu Zeiten des Corona-Lockdowns. Es sind verschiedene Dinge, die uns imponieren: es wird nichts beschönigt aber auch nichts dramatisiert, sondern vorzüglich das alltägliche Elend der Altenpflege dokumentiert. Der Film zeigt eine Organisation immer hart an der Grenze des Zusammenbruchs, aber auch, wie der Teamgeist, der Mut, die Verantwortung der Pflegenden das Durchhalten ermöglichen. Es ist – wie so häufig – das Bild eines ‚verlorenen Haufens‘, der aber zäh und unnachgiebig trotz aller Verzweiflung zusammenhält. Hilfe von außen gibt es zunächst keine, Zeitarbeitskräfte erscheinen nicht, eine Krankenschwester muss die Verantwortung für alle Patienten/Bewohner (120!!) schultern. Mitarbeiterinnen (es sind immer Frauen, kein Mann zu sehen) kommen auch dann, wenn sie sich krank fühlen: in dieser Situation kann man die Kolleginnen nicht allein lassen. Später kommen dann doch einige Hilfen aus der Kinderkrankenpflege hinzu und stellen fest, dass es hier viel härter und fordernder zugeht als sie sich das je hätten vorstellen können.

Die Bewohner*innen sind zumeist infiziert und sehen, da teilweise ohne Symptome, gar nicht ein, warum sie jetzt im Zimmer bleiben und nicht, wie üblich auf dem Gang sitzend, wenigstens etwas von der Welt mitbekommen können sollten. Ein betroffener Herr will jetzt lieber sterben – überhaupt, viele möchten sterben, haben das Leben, das jetzige Leben satt. Sie müssen warten, aushalten, ausharren im ‚God’s waiting room‘. Gefragt worauf sie denn warten, sagen sie, na, darauf, dass eine Schwester kommt. Irgendwann kommt ja immer einer und will was. Das ist jetzt das ganze Leben: hocken im Zimmer und warten, dass einer kommt. Angehörige dürfen ja nicht rein.

Trotz aller Eile und Stress sind die Mitarbeitenden zugewandt, man sieht, – auch wenn es nicht immer nach dem Regelbuch geht – die Beziehungen stimmen schon und den Mitarbeitenden liegt etwas an den Bewohnern. Und es sterben so viele, man kommt mit der Trauer nicht mehr nach. Bislang konnte man das Sterben noch ganz gut wegpacken, aber jetzt wird es grenzwertig, so viel Sterben, so viel Tod.

Diese Art von Realität wird viel zu wenig gezeigt. Wie sehr die Pflegenden allein gelassen werden, wie wenig Hilfe dort ankommt, wie tapfer sie das dennoch machen, wie groß die Not ist, wie wenig Anerkennung es gibt. Zumeist werden eher Glanzbilder produziert, da Einrichtungen ja gezwungen sind, sich ‚gut‘ und ‚professionell‘ am Markt zu positionieren. Es ist eine gehörige Portion Mut nötig, sich so offen, also seine ‚Wunden‘ zu zeigen. Aber eben das wünscht man sich viel mehr: der Öffentlichkeit zumuten, das zu sehen, was wirklich geschieht. Nein, es steht nicht gut um die Pflege alter Menschen, und wir sind alle verantwortlich dafür, dass es so läuft. Ändern tut sich oft nur dann etwas, wenn Realität zugemutet wird. Davon bitte mehr!
Solche Dokumentationen sind außerordentlich wertvoll und sollten viele Zuschauer finden, auch zur Fachdiskussion in den Pflegeberufen. Der Film kann über Youtube eingesehen werden.

Christian Müller-Hergl, Dipl Theol, BPhil, Altenpfleger, Supervisor, Demenz-Experte
Prof. Dr. Angelika Zegelin, Krankenschwester, Pflegewissenschaftlerin, kontakt@angelika-zegelin.de

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