Als ich aus der Zeit fiel – Mein Weg durch die paranoide Schizophrenie

27. Juni 2020 | Rezensionen | 0 Kommentare

Einem Großteil der Menschen ist das Erleben einer paranoiden Schizophrenie fremd. Zum Glück. Jens Jüttner konnte diesem Schicksal nicht entrinnen. Über zehn Jahre hat er die fremde Welt der Stimmen und Bilder erlebt. In dem Buch „Als ich aus der Zeit fiel“ gibt er nun Zeugnis von seinem Leiden. Jüttner nimmt die Leserin und den Leser auf eine bewegende, gar erschreckende Reise durch seinen Lebenslauf mit.

Schaut man sich den formalen biographischen Weg Jüttners an, so zeugt dieser von Kraft und Lebendigkeit. Jüttner hatte Rechtswissenschaften studiert, hatte unter anderem in einer Steuerberatungs-und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gearbeitet. Eine Familie hatte er gegründet, auch ein funktionierendes soziales Umfeld gehörte zu seinem Alltag. Gleichzeitig musste Jüttner die Erfahrung machen, dass das Leben manch gruselige Episode parat hat. Er erkrankte an einer paranoiden Schizophrenie.

Während der Reise durch Jüttners Leben läuft es der Leserin und dem Leser immer wieder einmal kalt über den Rücken. Denn mit einer ungeahnten Lebendigkeit hinterließ die Psychose Spuren bei Jüttner. Seine sehr farbigen und authentischen Schilderungen lassen die Distanz zwischen Jüttner und empathischen Leser(inne)n geringer werden.

Prof. Dr. Joachim Cordes, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Florence-Nightingale-Krankenhaus in Düsseldorf, macht in seinen einleitenden Worten auf einen wichtigen Umstand aufmerksam: „Lehrbücher haben ihre Wichtigkeit durch den strukturiert wissenschaftlich gesicherten Stand zur Diagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen. Nicht weniger wichtig sind Erfahrungsberichte von Betroffenen für das Grundverständnis der herausfordernden Erkrankung Schizophrenie“ (S. 12).

Jüttner gelingt es, den unzähligen subjektiven Schilderungen aus seinem Krankheitserleben viel Informatives an die Seite zu stellen. Er gehört nicht zu den Autoren, die mit der medizinischen Wissenschaft hadern. Er versucht keinen Diskurs über die Notwendigkeit von Psychopharmaka und mögliche Absetzversuche aufgrund zu ausgeprägter Nebenwirkungen. Der Subjektivität der Erfahrungen steht eine Objektivität der Aufklärung gegenüber.

Insofern gewinnt man bei der Lektüre den Eindruck, dass Jüttner ein Muster-Betroffener sein könnte, der ein klares Krankheitskonzept hat und stetig compliant ist. Gerade in den akuten Phasen seiner Erkrankung ist Jüttner dies nicht gewesen. Viele Sorgen hat er den Angehörigen gemacht. Seine Ehe ist unter anderem an seiner seelischen Erkrankung zerbrochen. Seine Eltern hatten wohl unglaubliche Mühe, wenn sie ihn in argen Nöten unterstützten. Und natürlich hat Jüttner eine Unbelehrbarkeit und Eigenwilligkeit in diesen Zeiten gezeigt, wie es viele Angehörige psychisch erkrankter Menschen von den Betroffenen kennen.

Heute schlägt Jüttner ruhige Töne an: „Heute bin ich wieder deutlich belastbarer. Ich habe mich erholt und wieder mehr Widerstandskräfte entwickelt. Dennoch weiß ich, dass ich weiter auf mich aufpassen muss und mich nicht dauerhaft überfordern darf“ (S. 136). Er rät den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die von einer seelischen Erkrankung betroffen sind, als Patient Herr der eigenen Therapie zu werden. Wörtlich: „Dann schaffen Sie es, die Schizophrenie zu kontrollieren, anstatt sich von ihr bestimmen zu lassen“ (S. 137).

Anders könnte man sicher formulieren: Bleib Dein eigener Reiseleiter, bevor Du auf unerwünschten Pfaden wanderst.

Jens Jüttner: Als ich aus der Zeit fiel – Mein Weg durch die paranoide Schizophrenie, Pinguletta Verlag, Keltern 2020, ISBN 978-3-948063-11-5, 138 Seiten, 13.90 Euro.

Autor:in

  • Christoph Mueller

    Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Mitglied Team "Pflege Professionell", Redakteur "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag) cmueller@pflege-professionell.at