Ärzte ohne Grenzen: Libyen-Konferenz in Berlin muss das Leid der Bevölkerung thematisieren

16. Januar 2020 | Gastkommentare | 0 Kommentare

Berlin/Wien, 16. Januar 2020. Vor der Libyen-Konferenz in Berlin am Sonntag fordert Ärzte ohne Grenzen von der EU, die Politik des illegalen Zurückbringens von Bootsflüchtlingen aus dem Mittelmeer in das Konfliktgebiet sofort zu beenden. Die Organisation weist zudem auf tausende neu im Land vertriebene Menschen hin, die dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.

„Bei der Konferenz in Berlin müssen unbedingt auch humanitäre Aspekte angesprochen werden“, fordert Marcus Bachmann, Berater für humanitäre Angelegenheiten von Ärzte ohne Grenzen Österreich. „Es braucht humanitäre Korridore für Hilfsorganisationen, um die Vertriebenen mit dem Allernotwendigsten zu versorgen.“ Bachmann weist damit auf einen Aspekt hin, der in der öffentlichen Diskussion bisher kaum thematisiert wird: „Im Raum Tripolis gibt es rund 150.000 Binnnenvertriebene. Alleine seit Jahresbeginn wurden in der Region 10.000 Menschen zu Flüchtlingen im eigenen Land. Man kann nicht oft genug betonen, wie stark die Bevölkerung unter der Eskalation des Konflikts leidet.“

Die aktuellen Kämpfe in Tripolis haben zu neuen Fluchtwellen geführt. Neben den im Land Vertriebenen versuchen auch weiterhin Menschen über das Mittelmeer zu flüchten. Allein zwischen Donnerstag und Samstag vergangener Woche haben mehr als 1.100 Schutzsuchende die Überfahrt gewagt. Allein in den ersten beiden Wochen 2020 hat die EU-unterstützte libysche Küstenwache nach Angaben der International Organisation for Migration (IOM) fast 900 Bootsflüchtlinge nach Libyen zurückgezwungen, weitere 60 wurden von einem Handelsschiff zurückgebracht.

Mehr als 200 Menschen wurden von NGO-Schiffen von Sea-Watch und Open Arms gerettet. Derzeit ist die von Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterranee betriebene „Ocean Viking“ das einzige Rettungsschiff in der Such- und Rettungszone im zentralen Mittelmeer.

Willkürlich interniert und misshandelt

Die Situation von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten in Libyen ist nach wie vor katastrophal. Tausende werden willkürlich in offiziellen Internierungslagern unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten, die unter offizieller Kontrolle der von der Bundesregierung und der EU unterstützten Regierung in Tripolis stehen. Sie sind in akuter Gefahr, erneut in den Kreislauf von brutaler Gewalt, und Ausbeutung in Libyen zu geraten oder bombardiert zu werden, wie im Internierungslager Tadschura im Juli, wo mindestens 53 Menschen starben. „Libyen ist kein sicherer Ort für Schutzbedürftige“, sagt Bachmann. „Die Menschen müssen dringend aus den Lagern evakuiert werden.“

Ärzte ohne Grenzen leistet lebensrettende medizinische Hilfe in offiziellen Lagern in Khoms, Tripolis, Sintan und Suwara, hat aber nur eingeschränkten Zugang. Zudem versorgen Teams Flüchtlinge und Migranten, die aus den illegalen Menschenhändler-Gefängnissen in Bani Walid fliehen konnten und dort extremer Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt waren.

Mittelmeer als einzige Fluchtroute

Sogar für die Überlebenden des Luftangriffs auf das Internierungslager Tadschura ist die Fahrt über das Mittelmeer weiterhin die einzige Fluchtmöglichkeit. Überlebende, die zuletzt von der „Ocean Viking“ gerettet wurden, berichteten den Teams an Bord, bei dem Angriff seien möglicherweise deutlich mehr als die offiziell bestätigten 53 Menschen ums Leben gekommen.

Videomaterial aus Libyen, inklusive der Arbeit von Teams von Ärzte ohne Grenzen in Internierungslagern, kann unter folgendem Link heruntergeladen werden.

Fotos aus offiziellen Internierungslagern können unter folgendem Link heruntergeladen werden.

Die Fotos können im Rahmen der aktuellen Berichterstattung bei Nennung des Copyrights „Aurélie Baumel/Ärzte ohne Grenzen“ kostenlos verwendet werden.

Autor:in

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)