Achtsamkeit und Selbsterfahrung in der Ausbildung

12. Januar 2020 | Bildung | 0 Kommentare

Achtsamkeit hat sich im Laufe der Zeit zu einem Zentralbegriff für eine bestimmte Art von Entspannungstraining entwickelt. Was hat dieser Begriff nun konkret mit der Gesundheits- und Krankenpflege zu tun? Seit einigen Jahren verfolgt die Ausbildungsstätte der Gesundheits- und Krankenpflege des sozialmedizinischen Zentrums auf der Baumgartner Höhe in Wien eine Schwerpunktbildung im Bereich Selbstreflexions- und Selbsterfahrungsmöglichkeit. Dort wurde ein am Standort entwickeltes didaktisches Programm des „Affektresonanz gesteuerten Trainings“ (ART) im Unterricht implementiert und evaluiert. Diese Schulung hat das Ziel, mit Hilfe von Modulen Elemente der Gewaltfreien Kommunikation zu trainieren. Gleichzeitig hat dieses Unterrichtsmodul den Fokus auf der Reflexionsfähigkeit über Gesagtes oder Gedachtes in der Begegnung mit Menschen. Ergänzt wird dieses Angebot mit einem didaktischen Programm aus dem Achtsamkeitstraining. Auffallend ist allgemein, dass eine konstruktiv – kritische Betrachtung von Achtsamkeit in den letzten Jahren eine zunehmende Popularisierung erfahren hat. Oftmals wird sie mit Wirksamkeit und Leistungsoptimierung durch eine Art „Bewusstseinstraining“ in Zusammenhang gebracht wird.

Die oftmals gestellte Frage, was Achtsamkeit sei, kann je nach Zugang sehr unterschiedlich beantwortet werden. Für die Wissenschaft stehen theoriegeleitete Definitionen des Konstrukts Achtsamkeit im Vordergrund. Für ein persönliches Verständnis ist es die Erlebnis- und Erfahrungsebene, die eine zentrale Bedeutung hat. Im pädagogischen Bereich liegt der Schwerpunkt auf interpersonalen Aspekten. Mit diesem Verständnis wird nun auch die Bedeutung von Achtsamkeit für die Gesundheits- und Krankenpflege immanent, wenn der Kontext von Achtsamkeit mit einer Begrifflichkeit wie „Mitgefühl“ betrachtet wird. Achtsamkeit ist heute ein Thema der Wissenschaft. Seine Ursprünge liegen in der buddhistischen Psychologie und reichen über 2000 Jahre zurück.

Es ist für die westliche Wissenschaft nicht so einfach, diese aus einer geografisch wie zeitlich fernen Kultur stammenden Begriff angemessen und die wissenschaftliche Forschung zu integrieren. Kabat-Zinnhat hierfür eine Definition gefunden, die weltweit zitiert wird:

Mindfulnes is „the awareness that emerges through paying attention on purpose, in the present moment, and nonjudgmentally to the unfolding of experience moment by moment“ (Kabat-Zinn, 2003, S. ).

Es gibt für diese Definition von Shapiro et al (2006) eine Präzisierung und Zusammenfassung zu einem „Drei- Faktoren-Modell der Achtsamkeit“ (IAA Paradigma) (Valtl, 2018, S. ).

  • Intention (intention): bewusste Absicht (der Lenkung der Aufmerksamkeit)

  • Aufmerksamkeit (attention): Die Ausrichtung auf ein selbstgewähltes Objekt im Hier und Jetzt

  • Haltung (attidude): ein Set von Haltungen charakterisiert als freundlich, mitfühlend und nicht bewertend.

Achtsamkeit im Ausbildungsbereich der Gesundheits- und Krankenpflege

Mein persönlicher Ansatz für die Etablierung eines Achtsamkeitsschulung im Gesundheits-und Krankenpflegebereich ist das inhärente Potenzial von Achtsamkeit, die Wahrnehmung und Grundhaltung sich selbst und anderen gegenüber so zu schulen, dass ein anderer, bewusster und gesunderer Umgang mit sich selbst und anderen Lebewesen daraus resultieren kann. Die Pflege, die vor allem den Ansatz der Beziehungspflege verfolgt, benötigt dieses Know- How, wie Beziehung professionell mit anderen wahrgenommen, gestaltet und verarbeitet werden kann.

Diese geforderte emotionale Kompetenz der Achtsamkeit sollte jedoch kein „Add on für die Gesundheits- und Krankenpflege“ darstellen, sondern vielmehr ein Teil der Ausbildung sein, quasi ein Training, sodass der Achtsamkeit einübende Mensch seine Wahrnehmung in der achtsamkeitsbasierten Pflege kompetent nützen kann. Diese Veränderung der äußeren und inneren Wahrnehmung kann für den Auszubildenden wohltuend und für das gemeinschaftliche Miteinander förderlich sein. Dies wird mittels vielen wissenschaftlichen Studien belegt.

Für diese geforderte Bewusstseinskompetenz benötigen wir nicht nur ein Zeit- und Raumfenster im Ausbildungssystem, wo neben kognitiver Sach- und Fachvermittlung auch emotionale Lebens- und Kooperationskompetenzen gelehrt werden können. Für die Vermittlung von emotionalen Kompetenzen ist auch die gelebte Authentizität der jeweiligen Mentor_innen entscheidend, die ebenfalls geübt werden muss und nicht vorausgesetzt werden kann.

So wird im Rahmen der Unterrichtsmodule von Kommunikation und „Sich Beschäftigen“ der achtsame Dialog trainiert. Das Kommunikationsverhalten ist bereits fast in allen Ausbildungsjahrgängen Thema im Curriculum. Es wird meist mit dem Modell von Schulz von Thun mit all seinen Verschränkungen und den verschiedenen Aspekten von Kommunikation thematisiert. Die Methode des achtsamen Dialogs kann hier gut anschließen. Gleichzeitig eignet sich diese Übung, wie auch die „Stille- Übungen“, zur Achtsamkeitsarbeit.

Wer unterrichtet, der hat Kenntnisse, dass sich die Bitte um Aufmerksamkeit wenig  zielführend zeigt, wenn die Auszubildenden nicht wissen, wie sie sich über einen längeren Zeitpunkt sich selbst so motivieren können, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf spezielle Aufgaben fokussiert wird. Bislang wird in Schulen wenig dafür getan, die grundlegende Meta-Kompetenz der Selbstreflexion und Selbstregulation zu vermitteln. Es kann jedoch sehr lohnend sein, sich damit zu beschäftigen, wie die Aufmerksamkeit des Einzelnen selbsttätig gesteuert werde kann und weshalb Entspannung für Aufmerksamkeitssteuerung eine unverzichtbare Voraussetzung ist, vor allem wenn sie kombiniert wird mit Übungen zur Erhöhung der Stressresilienz. Auszubildende benötigen einen Erfahrungsraum, wie sie lernen können, sich selbst zur Aufmerksamkeit zu motivieren, zu erkennen, wodurch Aufmerksamkeit verhindert wird und welche bedeutsame Rolle eine entspannte Wachheit für die gelingende Aufmerksamkeit hat. Nur so kann der Output für eine Empathie erfüllte Kommunikation mit Klienten und Klientinnen in der Betreuung funktionieren. Im Rahmen von verschiedenen Trainingseinheiten in Kommunikation und Entspannungstraining lernen Auszubildende nicht nur Techniken der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg, sondern es wird Wert darauf gelegt, diese Techniken in einer Selbstreflexion zu bearbeiten. So kann es gelingen, die Selbstkompetenz von Auszubildenden mittels gegenseitigen Austauschs über individuelle Verhaltensmuster zu ermöglichen. Darüber hinaus kann ein Perspektivwechsel genutzt werden, um ein Verständnis für individuelle Unterschiede zu erlangen. So kann mit speziellen Achtsamkeitsübungen die Wahrnehmung des eigenen Aufmerksamkeitsprofils geschult werden, um die persönlichen Strategien der Aufmerksamkeitssteuerung zu reflektieren. Sie nehmen wahr, welche Bedingungen die Aufmerksamkeit fördern kann und welche sie stören. So können auch Situationen ausprobieren und spüren, wie Entspannung und Aufmerksamkeitsfähigkeit korrelieren. Diese Fertigkeiten der Selbstkompetenz stellen ein wesentliches Tool für den Beruf der Gesundheits- und Krankenpflege dar, wo Pflegepersonen oftmals mit sehr vielen Reizen und Wahrnehmungsinhalten konfrontiert sind und somit lernen, damit professionell umzugehen.

Ist die Distanz zwischen Pflegeperson und Erkrankten zu groß geworden, kann genau dies eintreten, was wir eigentlich verhindern sollten: nämlich der Verlust von Vertrauen und das Gefühl des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit und der Hoffnungslosigkeit. Die Beziehungsebene zwischen Pflegenden und betreuten Personen sollte partizipativ sein. Der Erkrankte sollte eingebunden und beteiligt werden. Nicht, weil es den neuen Trend darstellt, sondern weil es die Selbstwirksamkeitserwartung erhöht. Unser Gesundheitssystem belohnt in erster Linie das Handeln. Dies ist die Folge von standardisierten Abläufen und Abrechnungssystemen. Abwarten, Selbstfürsorge und Reflexionsübungen sind darin erst einmal nicht vorgesehen, weil sie verwaltungstechnisch nicht so leicht zu fassen sind wie Verordnungen und Messungen, wie Einfuhr- und Ausfuhrbilanzen.

Vorstellung eines prämierten Schulprojektes für Gesundheitsförderung

2015 wurde am Standort des sozialmedizinischen Zentrums der Baumgartner Höhe in Wien ein gesundheitsförderndes Schulprojekt namens „Mind full versus Mindful“ im Gesundheits- und Krankenpflegebereich gestartet und beim Wiener Netzwerk für gesundheítsfördernde Schulen eingereicht. Die Schule erhielt dafür im Herbst 2018 das Gütesiegel für Gesundheitsförderung im Schulbereich verliehen. Wenn wir Menschen in diesem Beruf ausbilden, dann muss bereits in der Ausbildung die Verbindung zur Mind-Body-Medizin in der Praxis verfolgt werden. Wir können nicht nur davon reden und erzählen, dass es für die Stressbewältigung hilfreich ist, wenn wir keine praktischen Übungen der Selbsterfahrung zur Verfügung stellen.

Im Mittelpunkt der konkreten Umsetzung steht bei diesem Projekt das aus dem Amerikanischen stammende Kürzel BERN (Esch, 2017, S.213). Es steht für

  • stressreduzierendes Verhalten (Behavior)

  • ausreichende Bewegung (Exercise)

  • regelmäßige innere Einkehr und Entspannung ( Relaxation) sowie

  • achtsamer Genuss und gesunde Ernährung (Nutrition)

Bei diesem „achtsamen Schulprojekt“ wurden genau diese Säulen umgesetzt. Für die Etablierung gab es eine Kick-off Veranstaltung. Es wurde eine Gesundheitswoche im Stundenplan implementiert, um die Auszubildenden erstmalig mit den Basics dieser Säuleninhalte zu konfrontieren. So wird zum Thema Ernährung zum Beispiel ein Menü nach der traditionellen chinesischen Medizin (TCM)  gemeinsam in der Gruppe gekocht, um auch hier die stressbedingte Situation im Dasein der Auszubildenden, mit kurzen Schulpausen, eine Alternative in ihren Handlungsebenen zu Fastfood zu bieten. Nicht nur das gemeinsame Kochen auch der achtsame Genuss und der Beitrag zur gesunden Ernährung wird damit selbst erfahren. Die Auswahl der Speisen wurde so gewählt, dass Auszubildende sie im Schulalltag gut umsetzen können. Dazu zählt selbstverständlich nicht nur das Know How, sondern vielmehr das Vorhandensein des notwendigen Equipements, das von WieNGS als nachhaltige Projektförderung finanziert wurde. So konnte auf diesem Weg ein Reiskocher, eine Induktionsherdplatte und ein Smoothiemaker sowie eine Partypfanne angeschafft werden. Die Wahrnehmung der Thematik Ernährung kann gelingend im Bereich Schule umgesetzt werden. Die Ausbildungsinhalte sind neben theoretischen Inhalten von einer Förderung einer ganzheitlichen und existentiell transformierenden Persönlichkeitsentwicklung geprägt. In vielfältiger Weise werden somit gesundheitsfördernde Maßnahmen nicht nur kognitiv, sondern vielmehr praxisnah, also emotional und in persönlicher Erprobung, erfahrbar gemacht.

Erst aus der Selbsterkenntnis (dem „Selbst, das man in Wahrheit ist“ wo kommt das Zitat her?) kann von innen her ein authentisches, stimmiges und kreatives Verhalten erwachsen, das nicht äußerlich „angelernt“ und damit aufgesetzt wirkt.

Die Förderung von Offenheit und inneren Erfahrungen werden in der Ausbildungnmit diversen Angeboten der Bewegungsorientierung und sinnesberührender Selbsterfahrung ermöglicht. Die Kunst liegt darin, die Sinnhaftigkeit, so offensichtlich sie auch sein mag, dauerhaft in den Alltag zu integrieren. Alltagstauglichkeit der Mind-Body-Medizin hat in diesen Zusammenhang nichts mit Wellness zu tun. Vielmehr geht es um das Gesunde in uns alle, egal wo wir uns gerade auf dem Kontinuum zwischen gesund und krank befinden. Neben Freude, Zutrauen und Ausdauer sind zwei Aspekte bei der praktischen Umsetzung besonders hervorzuheben. Zum einen finden alle vier Säulen in unserem gewohnten sozialen Umfeld (Schule) statt. Dies heißt, der aktive Austausch mit Kollegen und Kolleginnen, das Annehmen von Unterstützung, das Einbeziehen von Mitmenschen ist ein wesentlicher Bestandteil und sollte daher stets berücksichtigt, gezielt gesucht und genutzt werden.

Zum zweiten ist da noch der Aspekt der Achtsamkeit. Dieser zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Maßnahmen, Methoden und Empfehlungen. Die Achtsamkeit ist ein Bindeglied und bildet gleichzeitig ein Fundament, auf dem die vier Säulen fußen. Wenn es uns gelingt, mehr Achtsamkeit in allen vier Bereichen zu kultivieren, wenn wir es zu unserer inneren Haltung machen, dann wird es auch zu mehr Zufriedenheit und auch Gesundheit beitragen können. Meine Frage ist, wollen wir nicht die Verantwortung übernehmen, dass Auszubildende mehr Freude am Tun und auch ein Handwerkszeug für ihre Gesundheit selbstwirksam übernehmen wollen. Gerade im Pflegeberuf, wo derzeit ein bedrohliche Personalmangel herrscht, braucht es Werkzeuge, um Wörter wie Zufriedenheit, Selbstwirksamkeit und Resilienz nicht nur als leere Worthülsen zu verstehen, sondern diese als Trainingsform für die Akteure ermöglichen zu können. Wenn ich im Ausbildungsbereich von Stressbewältigung spreche, dann kann dies in den jeweiligen Situationen geübt werden. Es geht hier ganz konkret um die Frage der Kontrolle. Empfinden wir Kontrolle über unser Leben beziehungsweise die wichtigen Lebensentscheidungen, dann entscheidet dies, ob wir Stresssituationen als positiv oder negativ bewerten und auch wahrnehmen können. Die Säule der Bewegung wurde in diesem Schulprojekt mit der Wahrnehmung von „Gehen mit dem Stock“, sprich dem Training von Nordic Walking und mit Qi-Gong-Übungen, eingeübt. Dies bedarf nicht nur einer Instruktion zum richtigen „Stockgehen“, sondern benötigt auch eine Ermutigung, um nach der anfänglichen Euphorie nicht vom diebisch grinsenden Schweinhund einkassiert zu werden. Gerade die erste Säule im BERN-Konzept zeigt uns eine wesentliche psychologische Komponente. Bevor wir chronischen Stress reduzieren bzw. besser bewältigen können, müssen wir ihn als solchen erkennen. Dies klingt einfacher, als es im Alltag tatsächlich ist. Wenn wir einen gestressten Menschen bitten, sein Verhalten zu ändern, wird er uns seitenlange Erklärungen liefern, wieso das jetzt nicht gehe, weshalb das ohnehin eine schlechte Idee sei und er am besten so handeln möchte wie bisher.

Es zeigt uns, dass wir es im Schulalltag bereits als Rituale einführen müssen, um die bei Stress auch darauf zurückgreifen zu können oder auch zu wollen. Ein solches Ritual wird mit Qi-Gong-Übungen im Unterricht implementiert und im Rahmen diverser Achtsamkeitsübung gerne als Selbsterfahrungsübung angenommen. Zudem erhalten die Auszubildenden einen Arbeitsauftrag, eine Art Tagebuch zu führen, in dem sie ihre Glückmomente sammeln können – Momente, die ihnen im Leben Kraft und Energie geben. Dieses Tagebuch stellt eine persönliche „Glücksapotheke“ dar, die sie bei Tagen mit Stresssymptomen zur Hand nehmen können und sich selbst „Verschreibungen“ erteilen können. Denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass wir leider in Stresssituationen keinen Zugriff auf den Hirnbereich der Kreativität haben und damit nicht klarkommen können. Diese Selbstkompetenz, sich wahrnehmen zu können und gleichzeitig auch zu wissen, dass sie sich selbst einen Weg aus der Misere zeigen könne, dies erzeugt die selbsterfahrene Selbstwirksamkeit für die jeweilige Person.

Relevanz von Trainingseinheiten für das „Mitgefühl“

In den letzten zehn Jahren wurde in der Forschung die Bedeutung von „Mitgefühl“ im Kontext der Achtsamkeit empirisch nachgewiesen. Heute gibt es eine Vielzahl von Interventionsansätzen, vor allem von Mindful Self-Compassion( MSC) nach Kristin Neff und Christopher Germer, welche für den pädagogischen Bereich einsetzbar sind.

In Leipzig wurde der aufbauende Ansatz des ReSource Projects am Max-Planck-Institut auf zweifacher Weise betrachtet (Valtl, 2018, S. 6)

  • Mitgefühl ist einerseits eine Emotion und Motivation und damit ein vorübergehender psychischer Zustand (state): es ist das Gefühl, das entsteht, wenn man das Leid eines anderen wahrnimmt und dadurch der Wunsch zu helfen ausgelöst wird.

  • Mitgefühl ist andererseits eine „Seinsweise“ und damit eine relativ beständige Persönlichkeitseigenschaft (trait): Es ist eine von Einfühlungsvermögen und Wohlwollen („Güte) getragene Einstellung zum Leben, die sich einüben lässt und die relativ unabhängig von vorübergehenden Emotionen ist.

 Diese Untersuchungen wurden auch im Rahmen der Standford University von Jazairi (2018) im Anschluss an das Mitgefühlstraining mit vier Komponenten untermauert:

  • Achtsamkeit, die darauf gerichtet ist zu erkennen, wann Leid vorliegt (kognitiv)

  • emotionale Berührbarkeit gegenüber diesem Leid (affektiv)

  • der Wunsch, dass dieses Leid gemindert werde möge (intentional)

  • die Bereitschaft zu handeln, um dieses Leid zu mindern (motivational)

Achtsamkeit und Mitgefühl sind in diesen Ansätzen theoretisch und praktisch aufeinander bezogen, so dass dies auch als eine Art „Herzqualität von Achtsamkeit“ für den Pflegebereich aufgefasst werden könnte.

Wirkforschung zur achtsamkeitsbasierten Intervention

Wenn wir Achtsamkeit im Gesundheitsbereich einsetzen wollen, dann wird meist sofort eine Wirksamkeit gefordert und hier kann nur eine kurze Übersicht für diese Intervention gegeben werden. Es zeigten sich (Valtl, 2018) Effekte auf Gesundheit und Wohlbefinden. Die achtsamkeitsbasierten Interventionen reduzieren:

  • Stresseffekte

  • psychische Symptome (Depression, Angst, …)

  • Essstörungen und Substanzabhängigkeit

  • Alterungsprozesse (auf Zellebene und im Gehirn)

Achtsamkeitsbasierte Interventionen verbessern:

 

  • Subjektives Wohlbefinden und objektive physische Gesundheit

  • Resilienz und Immunfunktionen

  • Schlafqualität

 

Effekte im Leistungsbereich sind:

  • die Aufmerksamkeit auf den drei Ebenen von selektiver Aufmerksamkeit (Fokus), andauernder Aufmerksamkeit(Vigilanz) und der exekutiver Aufmerksamkeit (Ausblenden von Ablenkungen)

  • das Arbeitsgedächtnis

  • die Impulskontrolle

Diese Effekte korrelieren mit einer Verbesserung der Executive Funktion – einer kortikalen Steuerleistung, die für effizientes Handeln und Lernen zentral ist und die sich erst relativ spät in der Adoleszenz entwickelt sowie durch Achtsamkeitstraining gefördert werden kann.

Effekte auf Emotionsregulation, Selbsterleben, Fürsorge und Beziehung

Achtsamkeitsbasierte Interventionen

  • verbessern die Fähigkeit, Emotionen erleben, ausdrücken und ertragen zu können

  • verbessern das Mitgefühl für sich und andere

  • verbessern die Aggressionskontrolle und verringern emotionale Reaktivität

  • erhöhen die Flexibilität des Verhaltens und verbessern die Entscheidungskompetenz

  • erhöhen Beziehungskompetenzen und Beziehungszufriedenheit

Mittlerweile gibt es zahlreiche Forschungen, die diesen Nachweis von kurz- und langfristigen Wirkungen von Achtsamkeitsübungen belegen. Sie sind in der Übersicht über die Effekte aus einer Studie von Lyons/deLange (2016) zusammengefasst wurde. Die positiven Effekte für eine Implementierung von Achtsamkeit im Ausbildungsbereich sind nicht nur für Auszubildende hervorzuheben, sondern haben genauso für Lehrpersonen Geltung. So bedeutet Achtsamkeit eine zentrale Ressource zur Steigerung von Stressresilienz, Selbstfürsorge, soziale Kompetenz, Gesundheit und Zufriedenheit im Job. Allerdings ist eine Grundvoraussetzung damit verbunden, dass Lehrpersonen über eine gewisse Achtsamkeitspraxis mit theoretischen und praktischen Inhalten verfügen sollten. 

Didaktische Umsetzung von Achtsamkeitsübungen

Mittlerweile gibt es international sehr viele Schulprogramme, die sich mit Ansätzen zum sozial-emotionalen Lernen (SEL) und achtsamkeitsbasierten Lernen befassen. Die meisten dieser Schulprogramme stammen aus der USA und verzeichnen dort große Erfolge. Die bekannteste Öffentlichkeitsarbeit in den USA hat aktuell das Projekt Mindful School (Oakland, Kalifornien), welches selbst von Lehrerbildungseinrichtungen unterstützt wird und eigene Forschungseinrichtungen gegründet hat, die sich mit Achtsamkeit in Pädagogik, Psychologie und Medizin und Gesellschaft befassen. In Österreich wurde Achtsamkeit im pädagogischen Kontext für den schulischen Bereich erstmalig in einem Kurskonzept von Helga Luger –Schreiner in Wien 2008 aufgegriffen. Mittlerweile finden wir einige Achtsamkeitsangebote in Ausbildungseinrichtungen, die sich alle zum Ziel gesetzt haben, eine achtsame Schule entwickeln zu wollen (Valtl, 2018, S. ).

Auch die Universität Wien hat sich im Rahmen der Lehrerinnenbildung zum Ziel gesetzt, Achtsamkeit und Mitgefühl in das Curriculum der Lehramtsausbildung für Sekundarstufenlehrer_innen zu implementieren. Hier gäbe es für den didaktischen Bereich einen fundierten Informationsaustausch für Ausbildungsbereich in der Pflege oder gute Möglichkeiten, das Netzwerk Achtsame Pädagogik (NAP) als Kooperationspartner zu finden. Ausbildungsstellen in der Gesundheits- und Krankenpflege benötigen achtsamkeitsbasierte Kompetenzen nicht nur für ihre eigene Gesundheitskompetenz, sondern auch dafür, dass dieses emotional erfahrende Handwerkszeug den Multiplikator_innen im Gesundheitswesen einsetzen zu können. Niemand ist so nah am Menschen wie die Pflegenden. Hier ist es nötig, die recovery-basierte und empowerment-orientierte und achtsamkeitsbasierte Pflege in erster Linie selbst erfahrbar zu machen, um diese in der Beziehungsarbeit effizient nützen zu können und in weiterer Folge als Anwender_innen die zu pflegenden Menschen partizipieren zu lassen. Mit einer achtsamkeitsbasierten Pflege können eigene Anteile besser wahrnehmbar werden. Die Pflegeperson wird befähigt, die eigenen Bedürfnisse besser zu identifizieren, um sie von den Bedürfnissen anderer besser zu trennen zu können. Gerade in beruflichen Ausbildungen werden Auszubildende oftmals mit herausfordernden Situationen konfrontiert. Da bedarf es eines Methodenkoffers, um diese Work-Life-School–Balance zu bewältigen. Alle diesen formalen Achtsamkeitsübungen ermöglichen die Fähigkeit, ganz im gegenwärtigen Augenblick anwesend zu sein. Diese Selbsterfahrung lehrt Auszubildende, dass sie nur im „Jetzt“ etwas bewegen können. Auch wenn wir planen oder Vergangenes aus dem Pflegeprozess reflektieren, dann geschieht es immer im gegenwärtigen Augenblick. Oftmals haben wir mit gewissen Stolpersteinen zu kämpfen, die uns unsere Gewohnheiten, unsere Autopilotstrukturen in den Weg legen und uns die Besonderheiten des Augenblicks nicht wahrnehmen lassen. Sie lassen uns Schlüsse ziehen, die der Realität nicht angemessen sind. Vor allem im Bereich der medialen Welt, wo wir als Nutzer von elektronischen Medien ständig mit der Reaktivität im Sekundentakt beschäftigt sind. Auch Spitzers Argumentation in der Verwendung von Smartphone zeigt bereits Ergebnisse, was im Körper und im Gehirn geschieht. Hier hilft weniger die Moralpredigt, sondern die „Selbstermächtigung“. Erst wenn die Auszubildenden spüren, wie sie dieses kleine elektronische Gerät terrorisieren kann, wie es ihnen die Freiheit raubt, erst dann werden sie selbst gegensteuern. So ist es allgemein ein pädagogischer Auftrag, die Selbstbeobachtung und Selbsterfahrung mehr in die pädagogischen Strukturen und Ausbildungsbereiche als fixen Bestandteil zu implementieren.

Literatur

Esch, T. (2017). Der Selbstheilungscode – Die Neurobiologie von Gesundheit und Zufriedenheit. Weinheim: Beltz.

Kabat- Zinn, J. (2003). Mindfulness- Based Interventions in context: Past, Present, and Future; In Clinical Psychology: Science and Practice.

Lyons, K. E./De Lange, J. (2016). Mindfulness matters in the classroom: The effect of mindfulness training on brain development and behavior in children and adolescents  In Roeser/Schonert-Reichl. Handbook of mindfulness in education.

Jazairi, Hooria (2018) https://greatergood.berkeley.edu/article/item/six_habits_of_highly_compassionate_people, 27.9.2019

Valtl, K. (2018). Pädagogik der Achtsamkeit. Literaturbericht Hrsg. Schule im Aufbruch

Kaltwasser, V. (2016). Praxisbuch Achtsamkeit in der Schule Selbstregulation und Beziehungsfähigkeit als Basis von Bildung. Weinheim: Beltz.

Autor:in

  • Gerlinde Zöchling

    Mag. Phil., Akademische Pflegepädagogin, Lehrvortragende, Sonder- und Heilpädagogin, Diplomierte psychiatrische Gesundheits- und Krankenpflegerin, Koordinatorin für Gesundheitsförderung im Schulbereich, Diplomierte Entspannungs- und Achtsamkeitstrainerin